Landgericht Potsdam, Beschluss vom 11.03.2014 - 1 T 103/13 -
Gemäß §§ 83 Nr. 1, 43 Abs. 2 ZVG ist ein Versteigerungstermin aufzuheben, wenn nicht vier Wochen vor dem Termin dem Schuldner ein Beschluss, aufgrund dessen die Versteigerung erfolgen kann, die Terminsbestimmung zugestellt ist. Wird die Terminsbestimmung nicht dem Schuldner selbst, sondern dem bestellten Zustellungsvertreter übermittelt, obwohl die Bestellung des Zustellungsvertreters wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 ZVG gegenüber dem Schuldner unwirksam war, so ist der Versteigerungstermin aufzuheben (Landgericht Potsdam, Beschluss vom 11.03.2014 - 1 T 103/13 -).
Landgericht Potsdam
1. Zivilkammer
11.03.2014
1 T 103/13
Beschluss
...
beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 19. November 2012 wird der Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Luckenwalde vom 21. April 2010 - 17 K 312/08 - aufgehoben.
Der Zuschlag wird versagt.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 96, 97 Abs. 1 ZVG, 793 ZPO statthaft und als außerordentliche Beschwerde (Stöber, 19. Aufl., § 96 ZVG, Anm. 3.2) innerhalb gesetzlicher Frist eingelegt. Die außerordentliche Beschwerde („Nichtigkeitsbeschwerde“) nach § 569 Abs. 1 Satz 3 ZPO befreit von der Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung, spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Beschlusses beginnt (§ 569 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 ZPO; Stöber aaO., Anm. 3.3).
Liegen die Erfordernisse der Nichtigkeits- oder der Restitutionsklage vor, so kann nach § 569 Abs. 1 Satz 3 ZPO die Beschwerde auch nach Ablauf der Notfrist innerhalb der für diese Klage geltenden Notfristen erhoben werden. Nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO findet die Nichtigkeitsklage statt, wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach den Vorschriften der Gesetze vertreten war. Dies trifft auf den vorliegenden Fall, wie noch auszuführen sein wird, zu. Damit war die außerordentliche Beschwerde vor Ablauf der Notfrist von einem Monat ab Zustellung des Zuschlagsbeschlusses einzulegen (vgl. § 586 Abs. 1 und 3 ZPO). Diese Frist ist durch den am 19. November 2012 eingereichten Schriftsatz eingehalten worden, nachdem der Zuschlagsbeschluss vom 21. April 2010 dem Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners erst am 16. November 2012 per Telefax übermittelt worden ist. Einer Entscheidung über den von dem Schuldner zugleich gestellten Wiedereinsetzungsantrag (§§ 233 ff. ZPO) bedarf es nicht.
Die in zulässiger Weise auf Anfechtungsgründe nach §§ 100 Abs. 1, 83 ZVG gestützte Beschwerde ist auch begründet, so dass der Zuschlag unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zu versagen ist (§ 101 Abs. 1 ZVG).
Nach §§ 83 Nr. 1, 43 Abs. 2 ZVG ist ein Versteigerungstermin aufzuheben, wenn nicht vier Wochen vor dem Termin dem Schuldner ein Beschluss, aufgrund dessen die Versteigerung erfolgen kann, die Terminsbestimmung zugestellt ist. Im vorliegenden Fall war die Terminsbestimmung nicht dem Schuldner selbst, sondern dem mit Beschluss vom 19. Januar 2009 bestellten Zustellungsvertreter, Rechtsanwalt Ch. S., übermittelt worden. Dadurch konnte eine ordnungsgemäße Zustellung an den Schuldner nicht bewirkt werden, weil die Bestellung des Zustellungsvertreters wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 ZVG gegenüber dem Schuldner unwirksam war.
Nach § 6 Abs. 1 ZVG ist ein Zustellungsvertreter zu bestellen, wenn der Aufenthalt desjenigen, dem zugestellt werden soll, dem Vollstreckungsgericht unbekannt ist. Genügend ist grundsätzlich die Nichtkenntnis des Gerichts; objektives Unbekanntsein ist – anders als bei § 185 Nr. 1 ZPO (vgl. Zöller/Stöber, 30. Aufl., § 185 ZPO Rdnr. 2) – nicht erforderlich. Nachforschungen des Gerichts sind aber in jedem Falle zulässig und bei erkennbaren Hinweisen auf den tatsächlichen Aufenthaltsort auch geboten. Gelangen Unterlagen, z.B. Grundakten, zu den Akten des Versteigerungsverfahrens, muss das Gericht mindestens aus ihnen Namen und Adressen zu ermitteln versuchen. Das Gericht darf nicht einfach die nötigen Feststellungen durch Bestellung eines Zustellungsvertreters umgehen (Stöber, 19. Aufl., § 6 ZVG, Anm. 2.3).
Bereits am 26. November 2008 war bei dem Amtsgericht Luckenwalde die Einheitswert-Bescheinigung des Finanzamtes Luckenwalde vom 25. November 2008 eingegangen, wonach das Grundstück dem Schuldner zugerechnet wurde und in der die Adresse in „L.Pl., M. 20646; 09330 F. C. (USA)“ ausdrücklich angegeben wurde. Über diese Adresse war der Schuldner unstreitig erreichbar. Es ist unverständlich, dass das Amtsgericht diese Unterlage, die sich als Blatt 32 in der Gerichtsakte befindet, nicht zum Anlass für Nachforschungen nach dem Aufenthaltsort des Schuldners genommen hat. Zumindest hätte das Amtsgericht der Gläubigerin aufgeben müssen, solche Nachforschungen im Hinblick auf die dem Finanzamt bekannte Anschrift zu unternehmen. Durch ein einfaches Schreiben hätte der Schuldner über das in sein Grundstück laufende Zwangsversteigerungsverfahren in Kenntnis gesetzt werden können.
Auch die von der Gläubigerin angestellten Nachforschungen, denen das Amtsgericht ohne jegliche Überprüfung gefolgt ist, waren vollkommen unzureichend waren. Die Gläubigerin hatte lediglich eine bereits seit den frühen 1990er Jahren nicht mehr aktuelle Adresse des Schuldners „D. St., PO-Box ….., D. N.C. 27706/USA“ als letzten bekannten Aufenthaltsort in den Raum gestellt. Die Bemühungen der Gläubigerin um die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Schuldners hatten sich auf eine erfolglos gebliebene Nachfrage bei der Anwaltskanzlei St., Z. & Partner (vormals St. & Z.) beschränkt, welche früher für die Großtante des Schuldners sowie den Schuldner in einigen Angelegenheiten beratend tätig war.
Unabhängig davon hätte die Gläubigerin eine für die Zustellung geeignete Anschrift des Schuldners ohne weiteres über die Gemeinde R. in Erfahrung bringen können. Dort lag bereits seit den Jahren 1995 die Adresse 09330 F. C. in L.Pl. M. 20646 (USA) vor, an die die Grundbesitzabgabenbescheide vom 12. Januar 2009, 8. April 2009 und 12. Januar 2010 sowie weitere Korrespondenz gesandt worden waren und dort auch ankamen. Die Adresse in L.Pl. M. war auch beim Finanzamt Luckenwalde bekannt. Auch dort hat die Gläubigerin nicht nachgefragt.
Auch der benannte Zustellungsvertreter, Rechtsanwalt Ch. S., dürfte seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen sein. § 7 Abs. 2 Satz 1 ZVG bestimmt, dass der Zustellungsvertreter zur Ermittlung und Benachrichtigung des Vertretenen verpflichtet ist. Dies ist auch in dem Beschluss vom 19. Januar 2009 so wiedergegeben. Anhaltspunkte dafür, dass der Zustellungsvertreter überhaupt Tätigkeiten zur Ermittlung des Aufenthaltes oder einer Zustelladresse des Schuldners entfaltet hat, lassen sich jedenfalls aus der Gerichtsakte nicht entnehmen. Er hat offensichtlich noch nicht einmal die Gerichtsakten eingesehen. Hätte er dies getan, dann wäre ihm anhand der Unterlage Blatt 32 d.A. sogleich aufgefallen, dass sich die Möglichkeit der Ermittlung des Aufenthaltsortes über die dem Finanzamt bekannte Anschrift aufdrängte.
Der vom Amtsgericht begangene schwere Verfahrensfehler begründet auch den Versagungsgrund des § 83 Nr. 6 ZVG. Wegen der gegenüber dem Schuldner unwirksamen Bestellung eines Zustellungsvertreters und der Unterlassung von Nachforschungen auch im weiteren Verfahrensverlauf beruhen nicht nur der Zuschlagsbeschluss vom 21. April 2010, sondern auch die Beschlüsse über die Gutachtenanordnung vom 18. März 2009, die Wertfestsetzung vom 16. Juni 2009, die Terminverfügung vom 6. August 2009 und die Erlösverteilung vom 24. Juni 2010 auf Verletzungen des rechtlichen Gehörs.
Der vom Amtsgericht angeführte Gesichtspunkt, dass in dem Anordnungsverfahren der Schuldner vor der schriftlichen Entscheidung über den Gläubigerantrag nicht anzuhören sei, rechtfertigt nicht ansatzweise die im weiteren Verfahren begangenen zahlreichen Verstöße gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Das gleiche gilt für die Hinweise des Amtsgerichts auf Vermeidung von Verfahrensverzögerungen und der Entstehung weiterer Kosten, welche in Anbetracht der Geringfügigkeit der Kosten für eine postalische Nachfrage sowie die Dauer des konkreten Verfahrensablaufes nicht nachvollziehbar sind und ohnehin außer Verhältnis zu dem bei Verletzung des rechtlichen Gehörs im Zwangsversteigerungs-verfahren drohenden Schaden stehen.
Eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist nicht veranlasst, weil eine Kostenerstattung nicht in Betracht kommt (Stöber, 19. Aufl., § 99 ZVG, Anm. 2.5). Anlass zur Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht nicht, da die Voraussetzungen hierfür (§ 574 Abs. 3, Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht vorliegen. Das Beschwerdegericht weist darauf hin, dass aufgrund des zur Aufhebung des Zuschlages führenden Erfolges der außerordentlichen Beschwerde der frühere Zustand wiederherzustellen ist (Stöber, 19. Aufl., § 96 ZVG, Anm. 3.7).
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